Polizeinotruf in dringenden Fällen: 110

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Rote Punkte markieren Orte, an denen gerade Straftaten verübt worden sind.
Alarmstufe Rot zeigt die Hotspots
Pilotprojekt mit Modellcharakter: Kriminalitätsbrennpunkte sind durch knallrote Hexagone auf den Monitoren im Lagezentrum oder in den Wachen sofort zu erkennen.
Streife-Redaktion

Die Früherkennung von Hotspots war das Ziel des Polizeipräsidiums Münster. Den Anstoß gaben verschiedene Ereignisse in 2021. So entwickelten sich an mehreren Orten Treffpunkte junger Leute, die teilweise lautstark, aggressiv und alkoholisiert für Vermüllungen und Ruhestörungen sorgten. „Uns erreichten damals zunehmend Beschwerden über das bunte Treiben. Anwohner waren um ihre Sicherheit besorgt und mieden bereits die Orte“, berichtet Lothar Foecker. Der 56 Jahre alte Beamte leitet im Polizeipräsidium Münster das Sachgebiet 2 (Controlling und Strategie), das zur Direktion Gefahrenabwehr/ Einsatz gehört.

Zudem schickte die Behörde vermehrt Streifen in die betroffenen Gebiete und immer wieder zerstreuten die Polizistinnen und Polizisten die Ansammlungen, jedoch wurden sie bei ihren Kontrollgängen regelmäßig angepöbelt. Hier und da flogen auch schon mal Flaschen auf die Beamtinnen und Beamten. Die Delikte häuften sich.

„Auch ein Treffpunkt der Poser-, Tuner- und Raserszene aus dem Ruhrgebiet hatte sich im Umfeld des Münsterschen Aasees etabliert“, erzählt Foeckers Kollege Holger Stadtländer. „Wir waren extrem in Sorge über das Ausmaß“, so der 36 Jahre alte Polizeihauptkommissar. Erst nach massivem Einsatz von Kräften konnten im Laufe der zweiten Jahreshälfte 2021 die Örtlichkeiten befriedet werden.

Doch zufrieden war man im Polizeipräsidium nicht. Es kam die Überlegung auf, sich grundsätzlich besser gegen das plötzliche Auftreten von Kriminalität in der Stadt zu wappnen. Beobachtungen und Informationen zu Straftaten sollten zeitnah und umfassend aufbereitet werden.

Das Polizeipräsidium wollte mit der Kommune vor die Lage kommen und sicherheitsrelevante Erkenntnisse zusammenführen. Foecker und Stadtländer, die das Projekt in Münster koordinieren, setzten sich im Februar 2022 mit dem LKA in Verbindung. „Es sollte für uns sämtliche wichtige Daten vernetzen und Visualisierungen liefern, damit wir unverzüglich reagieren können.“

Ansprechpartner der Münsteraner sind Kriminaloberkommissar Kai Seidensticker und der Regierungsbeschäftigte Jannis Heil von der Kriminalistisch-Kriminologischen Forschungsstelle (KKF) des LKA in Düsseldorf. Seidensticker, der neben seinem Polizeidienst Kriminologie studiert und darin promoviert hat, leitet die „Sachrate für raumbezogene Kriminalitätsauswertung und Lageantizipation“ (SKALA) der KKF. Heil, promovierter Agrarwissenschaftler, ist ein Spezialist für Modellierungen. Ihre ersten Fragen an die Münsteraner lauteten: „Was wollt ihr erreichen? Und was können wir dazu beitragen?“

Sehr schnell kamen beide Seiten zu dem Ergebnis, dass zunächst die wechselnden Brennpunkte in der Stadt identifiziert werden müssten. Seidensticker und Heil machten sich daran, die verschiedenen Straftaten kleinräumlich auf Karten zu verorten und mit erhöhten Einsatzmaßnahmen, Bürgerbeschwerden sowie Beobachtungen zu verknüpfen. Die Ergebnisse werden im Geoportal der Polizei Nordrhein-Westfalen, das vom Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) gemeinsam mit dem LKA aufgebaut wurde, visualisiert.

Nun markieren rote Sechsecke die höchste Alarmstufe. Wird es in einer Gegend allmählich ungemütlich, ist dies in Orange gekennzeichnet. Kehrt langsam wieder Ruhe ein, wechselt die Farbe zu Gelb. Aktuelle Daten liefern täglich Polizei und städtischer Ordnungsdienst.

Die Grafiken ergeben ein übersichtliches, aber differenziertes Bild. Auch Einzelereignisse können auf Hintergrundkarten abgerufen werden. Es erscheinen dann beispielsweise rote und blaue Punkte, mit denen die Delikte und Polizeieinsätze symbolisiert werden. „Wer sie anklickt, erhält nähere Auskunft über das Geschehen“, teilt Jannis Heil mit. Wer jedoch nur ein kurzes Schlaglicht haben möchte, muss nicht lange suchen. „Ähnlich wie bei einer Hitparade haben wir 25 Top-Hotspots festgelegt.“ Sie basieren jeweils auf den gesammelten Erkenntnissen der vergangenen vier Wochen.

Die Taten – von Einbruch über Körperverletzung bis zu Verkehrsübertretungen – gewichtet das Polizeipräsidium Münster. Ein Raub zählt mehr als eine Ruhestörung. „Inzwischen erfolgt die Geodatenanalyse wöchentlich neu“, stellt Kai Seidensticker fest. „Für die Ausarbeitung der Methode und die technische Umsetzung waren ein paar Monate Zeit notwendig.“ Zukünftig werden die Berechnungen automatisch ohne Zwischenschaltung der KKF erfolgen.

„Wir haben einen großen Schritt nach vorn gemacht“, schwärmt Lothar Foecker von den Chancen des Diagnoseinstruments, das Ursache- und Wirkungsanalysen und eine präzise Steuerung der Einsatzkräfte für seine Stadt ermöglicht. „Wir stärken damit die öffentliche Sicherheit. Durch das rechtzeitige Erkennen und Verstehen von Gefahren können wir Gegenmaßnahmen einleiten, ehe sich die Kriminalität verfestigt.“

Das Tool wird eingerahmt von einem vierstufigen Maßnahmenkonzept. Stufe 0 heißt schlicht „nichts los oder nichts bekannt“. Stufe 0+ zeigt einen temporären Hotspot an, bei dem jede Direktion in eigener Zuständigkeit über das Vorgehen entscheidet. Stufe 1 bedeutet, dass direktionsübergreifend vorgegangen wird, beispielsweise mit einer Razzia oder einer groß angelegten Verkehrskontrolle. Stufe 2 ist längerfristig angelegt: Eine Besondere Aufbauorganisation (BAO) wird eingerichtet und die Kompetenzen verschiedener Stellen werden unter einer einheitlichen Führung bündelt. Wie bei der BAO Wind, als das Bahnhofsviertel der Unistadt umzukippen drohte. Denkbare begleitende Maßnahmen gibt es viele – von der Videobeobachtung bis zur verdeckten Ermittlung.

„Wir wollen vermeiden, dass die Menschen bestimmte Orte nicht mehr betreten, weil sie dort einfach nur noch Angst haben“, hebt Holger Stadtländer hervor. „Wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Bezirksbeamtinnen und -beamten, die ja ein bisschen das sind, was früher der Schutzmann vor Ort war. Die erfahren, auf welchen Schulhöfen sich in der Dunkelheit Jugendliche treffen, laut Musik hören und rumkrakeelen oder wann und wo in Parks gedealt wird.“ Der Wachdienst könne solche Rückmeldungen gezielt überprüfen. „Wir haben feste Patenschaften ins Leben gerufen, um solche Kooperationen zu institutionalisieren.“ Bürgerinnen und Bürger dürften sich nicht bedroht fühlen.

Das Münsteraner Pilotprojekt läuft, ist aber noch längst nicht abgeschlossen. Als Nächstes ist geplant, die Dashboards mit der Lokalisierung krimineller Ereignisse auch auf die Polizeihandys zu überspielen. So kann man mobil auf dem Laufenden bleiben. Die sozialen Netzwerke sollen außerdem nach Schlagworten ausgewertet werden. „Auf diese Weise erfährt man vieles, was uns demnächst beschäftigen könnte“, glauben Lothar Foecker und Holger Stadtländer. Münster sei nicht nur die Stadt der Fahrraddiebstähle. „Wir haben etwas erarbeitet, das es der Polizei ermöglicht, vor die Lage zu kommen.“

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